Im Rundbrief widmete sich unser Vorsitzender Michael Mülder dem sportlichen Auftritt unseres FC Schalke 04 im Jahr 2024. Die letzten vier Spiele des Jahres, die endlich einen Turnaround brachten, standen da noch bevor. So schrieb er am 17. November 2024 an die Mitglieder:
Nach der völlig verkorksten Vorsaison, die für den anfänglichen Aufstiegskandidaten nach monatelangem Abstiegskampf wenigstens auf Platz 10 endete, hatte im Sommer 2024 vor dem Start in die dritte Zweitligasaison seit 2021 auf Schalke das Großreinemachen begonnen. Am allerletzten Tag nach einem kräftezehrenden Abstiegskampf 2023/24 wurde einer ganzen Reihe von Spielern und Mitarbeitern aus dem Trainer- und Funktionsteam in einem Akt frei von Empathie und Wertschätzung mitgeteilt, dass man nicht mehr mit ihnen plant. In einer Radikalkur pflügte die Klubführung um Vorstandsboss Matthias Tillmann, seit Januar 2024 im Amt, schonungslos durch den Personalbestand in der Überzeugung, dass „tiefgreifende Veränderungen“ notwendig seien, um die „langfristigen Ziele, insbesondere die Rückkehr in die Bundesliga“ zu erreichen. Selbst leitende Angestellte, wie etwa der damals noch amtierende Sportdirektor Marc Wilmots oder der damalige Trainer Karel Geraerts, wurden offensichtlich überrumpelt, ohne von den tatsächlichen Planungen der Vorstandsetage gewusst zu haben, was kontraproduktiv ist, wenn diese zuvor Mitarbeitern ruhigen Gewissens Hoffnung auf eine weitere Zusammenarbeit machten, um dann zu erkennen, dass ihr Wort wenig zählte. Gravierende Einschnitte, die offenbar auch Substanzverluste im zwischenmenschlichen Bereich zur Folge hatten, nicht zuletzt bei Alteingesessenen wie Mathias Schober, Gerald Asamoah oder Mike Büskens, die sich wie vor den Kopf gestoßen fühlten oder fühlen mussten, gegenteiligen Beteuerungen der Vereinsoberen zum Trotz. Die Radikalkur wirkten in Teilen wie Aktionismus und schuf zum XXL-Kaderumbau zusätzliche Großbaustellen, denn es galt etliche Posten im Trainerstab [Mike Büskens, Matthias Kreutzer und Torwarttrainer Simon Henzler] sowie im Funktionsteam [Spielanalyse, Athletik und Physiotherapie] neu zu besetzen.
Der FC Schalke 04 nutzte die Sommerpause 2024, um nach der Horror-Saison 2023/24 alles auf links zu drehen. Ben Manga, neuer Direktor Kaderplanung, Scouting und Knappenschmiede, und [Ex-] Manager Marc Wilmots veränderten im Eiltempo das Gesicht der Mannschaft grundlegend. Die Transferstrategie war und ist klar. Jung, entwicklungsfähig und kostengünstig sollte der überwiegende Teil der Neuerwerbungen sein, die Verantwortlichen setzten bewusst auf langfristige Verträge, denn Teil der Strategie ist, dass man in Gelsenkirchen auf eine deutliche Steigerung des Kaderwertes hinarbeitet. Gebastelt werden sollte ein Kader, der in den nächsten Jahren zu einem eingespielten Ensemble zusammenwachsen sollte und im Idealfall nach der spätestens 2026 angestrebten Rückkehr in die Bundesliga auch im Oberhaus auf Anhieb eine gute Rolle spielen könnte. Die Quantität war mit Blick auf einen Transfersommer mit 15 Zugängen beachtlich, die Qualität des Einzelnen mit Blick auf Ziele und Ansprüche des Zweitligisten jedoch fraglich.
Nach dem 1. Spieltag, als die Königsblauen Eintracht Braunschweig mit 5:1 wegfegten, grüßte Schalke sogar von der Tabellenspitze, stürzte danach aber beinahe ungebremst in Richtung Souterrain der Liga ab.
Eines der größten Probleme bei dem Klub, der in der Vorsaison 60 Gegentore kassiert hat und fast abgestiegen wäre, blieb im ersten Saisondrittel die Stabilisierung der Defensive. Schalke lechzt nach Defensivstabilität. Die Schalker Kaderplaner wähnten sich im Umbruch-Sommer mit Blick auf ihre Innenverteidigung gut aufgestellt und erklärten ihre Planungen angesichts von nominell nicht weniger als sieben Spielern im Profikader für die zwei Innenverteidiger-Positionen für abgeschlossen: Der verletzungsanfällige Tomas Kalas, der zu langsame Marcin Kaminski, Ron Schallenberg, der eigentlich lieber im defensiven Mittelfeld spielt und der Elf dort auch fehlt, die neuverplichteten Youngster Felipe Sanchez, Martin Wasinski und Steve Noode sowie Ibrahima Cissé, der über herausragende Anlagen verfügt, aber mit dem, was er daraus macht, in viel zu vielen Situationen konstant den Tatbestand der Fahrlässigkeit erfüllt. Die richtige Mischung scheint bis jetzt immer noch nicht gefunden. Schalke behielt seinen Status als Schießbude. Offensiv läuft es dagegen besser – wenn es nicht um Ecken oder Freistöße geht. Defensiv anfällig, bei Standards erschreckend harmlos – nur zwei der Schwierigkeiten, die unsere verjüngte Mannschaft hat.
Auf Schalke greifen bei allem Verständnis für Entwicklungsprozesse die Mechanismen der Brache traditionell besonders schnell. Chaostage ist man gewohnt bei Königsblau. Das ständige Streben nach Kontinuität führt man in Gelsenkirchen in unschöner Regelmäßigkeit immer wieder selbst ab absurdum – und das in einer beeindruckenden Konstanz schon über viele Jahre.
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Nach einem 3:5 gegen den SV Darmstadt 98 [nach 3:0-Führung] war Ende September der nächste große Knall unausweichlich. Neben Trainer Karel Geraerts, der als elfter Coach seit 2019 am Werk war und dessen Engagement nur elf Monate andauerte, und seinem Assistenten Tim Smolders wurde Sportdirektor Marc Wilmots gleich mitrasiert. Im Streben nach Kontinuität hatte die Schalker Vereinsführung vor der Saison zwar beteuert, weiterhin auf Geraerts setzen zu wollen, doch die Rückendeckung erwies sich schnell als Lippenbekenntnis. Dem belgischen Coach gelang es nicht, die Mannschaft sowohl sportlich zu entwickeln als auch mental zu festigen. Nach der Verpflichtung Ben Mangas im Mai kamen schnell Spannungen auf, weil es nicht lang dauerte, bis klar war, dass der neue Direktor Kaderplanung Geraerts eher widerwillig als Trainer duldete und seine eigenen Vorstellungen auch mit Blick auf den Trainerposten umsetzen wollte. Die Freistellung von Sportdirektor Marc Wilmots fiel zwar zeitlich mit dem Rauswurf des Trainers zusammen, ist aber inhaltlich getrennt davon zu betrachten. Die Verpflichtung des Eurofighters, angeheuert erst im Januar 2024, muss unter „Missverständnis“ verbucht werden. Wilmots´' Alleingänge, der auf Absprachen, gelinde formuliert, keinen Wert legte, stießen den Bossen sauer auf.
Interimstrainer Jakob Fimpel, der die Mannschaft beim Ringen um einen gesicherten Mittelfeldplatz mit vier Punkten aus zwei Spielen etwas stabilisieren konnte, konnte allein schon aufgrund seinen fehlenden Fußballlehrer-Scheins keine Dauerlösung sein, sodass die Wahl nach rund zweiwöchiger intensiver Suche auf Kees van Wonderen, früherer Co-Trainer der niederländischen Nationalelf und zuletzt Coach des SC Heerenveen, fiel. Der x-te Kontinuitätsversuch auf der Trainerposition ist eingeleitet. Der 55-Jährige gilt als Coach, der gerne im 4-3-3 spielen lässt und viel Wert auf defensive Widerstandskraft legt. Zudem muss er die sportliche Entwicklung, auch mit Blick auf den Kaderwert vorantreiben. Dass er ein Händchen für Talente hat, bewies er als Trainer der niederländischen U-17-Auswahl, die er 2018 zum EM-Titel führte. Dennoch stellt van Wonderens Verpflichtung ein Wagnis dar, denn er muss sofort funktionieren. Der Verein hat sich für einen Trainer entschieden, für den Schalke 04 die erste Trainerstation jenseits der niederländischen Grenze ist. Schalkes Auftrag für van Wonderen lautet: Die Mannschaft so schnell wie möglich stabilisieren und zu einem Aufstiegskandidaten 2025/26 formen, zudem Spieler entwickeln und somit Kaderwerte schaffen. Auf Eingewöhnungszeit bei einem chronisch aufgeregten und hochemotionalen Verein darf er nicht hoffen. Um auf Schalke als Trainer zu bestehen, muss man aus besonders robustem Holz geschnitzt sein. Mit seiner Vertragsunterschrift hat van Wonderen einen extremen Dauerdruck gleich mitquittiert. Der Start des Niederländers, der viel Ruhe und Gelassenheit ausstrahlt, missriet mit vier sieglosen Pflichtspiel-Auftritten, wobei die Darbietungen zuweilen eher einer Zumutung glichen, sodass sich schon die Frage stellt(e), ob van Wonderen womöglich eine Fehlbesetzung ist. Als Motivationskünstler innerhalb der mental entkräfteten Mannschaft hat sich der 55-Jährige augenscheinlich noch nicht verdient gemacht. Der Effekt eines Trainerwechsels scheint bereits rasch verpufft. Die noch uneingeschränkte Rückendeckung der Vereinsführung wird van Wonderen nur aufrechterhalten können, wenn die Ergebnisse bis Jahresende stimmen, bestenfalls garniert mit ansprechenden Leistungen.
Offensiv mit wenig Zug, ein Plan lässt sich beim besten Willen kaum erkennen. Die Mannschaft spielt Schlafwagenfußball. Die Schalker präsentieren sich derzeit zu oft als desolate Truppe ohne Führungsfiguren, die regelmäßig auseinanderfällt und bemerkenswerte Schwächen in Defensive und Offensive aufweist. Aktuell sind sie eines der schwächsten Teams der 2.Liga. Blutleer, schlecht abgestimmt, es fehlt das Feuer und das Aufbäumen, wenn es nicht läuft. Zu sehen ist keine Einheit, die sich entschlossen gegen die bereits zu vielen Niederlagen stemmt, jeder wurschtelt ein wenig vor sich hin. Chronisch besteht die Gefahr, dass unsere verunsicherte Mannschaft angesichts ihres dünnen Nervenkostüms in den vergangenen Wochen und Monaten beim kleinsten Rückschlag aus dem Tritt gerät. Kaum erkennbar, wie van Wonderen da zeitnah Abhilfe schaffen will. Großer Name, Mini-Leistung - das zieht sich bisher durch die ganze Saison. Gerade die erfahrenen Spieler wie Seguin, Schallenberg oder Amin Younes tauchen immer wieder ab. Die Anführer fehlen. Zu den wenigen Lichtblicken gehören ausgerechnet die beiden Youngster Max Grüger und Taylan Bulut aus der Schalker Knappenschmiede.
Schon oft herrschte nach Spielschluss zunächst ein eisiges Schweigen auf den Rängen, danach beim Gang in die Kurve Pfiffe und wüste Beschimpfungen, während sich bei den Spielen allmählich Stille einschleicht. Alarmsignale und in der Regel ein Zeichen dafür, dass die Stimmung kippt. Zu behaupten, Schalke sei in der Tabelle irgendwie unten reingerutscht, wäre eine glatte Schönfärberei. Ein Platz im unteren Tabellendrittel nach einem Saisondrittel ist mehr als eine Momentaufnahme. Die Lage scheint bedrohlicher als 2023/24.
Nach Expertenmeinung sollte der Kader der Königsblauen eigentlich qualitativ gut genug sein, um mit dem Abstieg nichts zu tun zu haben. Es ist jedoch bereits jetzt klar, dass unsere Mannschaft in ihrer derzeitigen Grundbesetzung nicht in der Lage ist, 2025/26 im Aufstiegsrennen mitzumischen.
Mehr Vorstandsinfos im Rundbrief Winter 2024
Die erst vor wenigen Monaten vollendete Umstrukturierung der Vereinsspitze strebt der Aufsichtsrat wieder rückgängig zu machen. Die nur noch zweiköpfige Vorstandsebene, bestehend aus Vorstandsboss Matthias Tillmann und Finanzchefin Christina Rühl-Hamers, soll durch einen Sportvorstand wieder auf drei Personen erweitert werden. Im Zweier-Vorstand mangelt es an Sportkompetenz, im Ergebnis unschwer abzulesen in der Tabelle. Youri Mulder übernimmt nach der Entlassung von Marc Wilmots solange als Interims-Sportdirektor, bis der Verein endlich eine Dauerlösung präsentieren kann.
Bei Schalke hakt es nicht nur sportlich, sondern auch strukturell und finanziell. Der Finanzalarm ist gravierend. Schalke 04 hat kaum bis kein Geld, um im sportlichen Bereich während des Transferfensters im Januar 2025 nachzubessern. Der mit rund 160 Millionen hochverschuldete Verein, den zudem ein negatives Eigenkapital von rund 100 Millionen Euro drückt, musste allein im Geschäftsjahr 2023 rund 16 Millionen Euro für Tilgungen und Zinsen aufbringen. Die Gründung einer Fördergenossenschaft soll die Finanznot nun lindern. Ausschließlich die derzeit etwa 190.000 Schalke-Mitglieder können voraussichtlich ab Jahresbeginn 2025 Anteile an der Arena zu einem Anteilspreis von je 250 € [zzgl. 75 € Verwaltungsgebühr] bei einer Rückgabe-Sperrfrist von 5 Jahren erwerben, die allerdings mit keinem Gegenwert bei der von Sentimentalität geprägten Hilfsaktion rechnen können. Der FC Schalke erhofft sich eine Einnahme im mittleren zweistelligen Millionenbereich.
Schafft der FC Schalke aber den Klassenerhalt nicht, wäre es fraglich, ob er die Lizenz für die dritte Liga erhält. Dem deutschen Vizemeister von 2018 und Champions-League-Achtelfinalisten von 2019 droht aktuell nicht nur der Abstieg, sondern das baldige Ende des Profifußballs.