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Das neue Schalke nach der größten Zäsur aller Zeiten: Eine Analyse

Die neue Saison: Bringt sie nach dem wenig erfolgreichen Jahr, in dem wir nur knapp dem Abstieg entkommen sind, eine Besserung? In unserem Sommerrundbrief hat unser Finanzvorstand Michael Mülder zurück- und vorausgeschaut - mit einem optimistischen Ausblick.

Europacup? Ja, klar! Mit viel Euphorie, einem umjubelten Trainer und dem klaren Ziel Europa-League-Qualifikation, gerne auch erneut die Teilnahme an der Champions League, startet unser FC Schalke 04 als Vizemeister in die Saison 2018/19. Ein paar Monate später, im Frühjahr 2019, befinden sich die Königsblauen in der schwersten Krise seit Jahren: Sportvorstand Christian Heidel räumt nach einem 0:3 in Mainz Ende Februar seinen Posten. Der glücklose Trainer Tedesco, dessen Vertrag im Sommer 2018 noch bis 2022 verlängert wurde, reibt sich auf und muss nach der mit 0:7 höchsten Niederlage einer deutschen Mannschaft aller Zeiten in der Königsklasse gehen.

„Jahrhunderttrainer“ Huub Stevens, von Heidel-Nachfolger Jochen Schneider installiert, übernimmt interimsweise mit Unterstützung von Co-Trainer Mike Büskens und Teammanger Gerald Asamoah ein seelenloses Möchtegern-Kollektiv, dessen Hierarchie nach dem völlig überraschenden Abgang von Derbyheld und Identifikationsfigur Naldo in der Winterpause völlig aus den Fugen geraten ist. Die Mannschaft, die vor eigenem Publikum insgesamt zehnmal verliert und damit einen neuen klubeigenen Negativrekord aufstellt, bleibt auswärts unter der Führung des prominenten Trios ungeschlagen, gewinnt drei Spieltage vor Schluss völlig unerwartet das Revierderby, bei dem sie zum einzigen Mal in der Saison einen Rückstand in einen Sieg verwandelt, und tütet am 32. Spieltag durch ein 0:0 gegen den FC Augsburg den direkten Klassenerhalt ein.

Platz 16 in der Rückrunden-Tabelle, nur 3 Siege und 17 Tore in 17 Bundesliga-Spielen 2019, mit kümmerlichen 15 Punkten im eigenen Stadion weniger als jedes andere Team geholt [Dass die schlechteste Heimelf die Liga hält, war zuletzt 1998 passiert.], die Albtraumsaison 2018/19 gipfelt nach dem Sturz vom märchenhaften Platz 2 auf 14 sogar fast im GAU-dem Abstieg respektive der Relegation.

Skandale, Suspendierungen, Grüppchenbildungen: Diese Schalker Truppe braucht keinen Trainer, sondern einen Sozialpädagogen. Jochen Schneider verpflichtet David Wagner, 1997 Teil der legendären „Eurofighter“, nicht nur Fußballlehrer, sondern auch studierter Pädagoge, mit der Empfehlung des Premier-League-Sensationsaufstiegs 2017 und des anschließenden Klassenerhalts mit Huddersfield Town, bevor es 2018/19 den sportlichen Absturz setzte, der jetzt auf seiner ersten Bundesliga-Station nichts weniger tun muss, als einen erstarrten Klub wiederzubeleben [„Wir drohen den Anschluss zu verlieren. Wir dürfen nicht in der Vergangenheit leben, sondern müssen mit der knallharten Realität umgehen. Wir stecken fest!“, Marketingvorstand Alexander Jobst], nachdem viele Schalker von den desolaten Auftritten der Vorsaison in die schweigsame Gleichgültigkeit getrieben worden sind.

Jobst machte auf der Schalker JHV „eine absolut bedenkliche Resignation, Gleichgültigkeit, emotionale Leere und Entfremdung“ in dem traditionell unruhigen, manchmal erratischen und überdrehten Schalker Umfeld aus, das zu extremen Stimmungsschwankungen neigt. Viele sind ermüdet von den immer wieder und wieder postulierten „Neustarts“ und Umbrüchen, von durch ständige Personal- und Paradigmenwechseln fehlender Kontinuität. Seit Jahren verlassen vielversprechende Talente den Verein, meist noch ablösefrei; seit Jahren dürsten wir Fans nach so etwas wie Offensivfußball und üben uns vielfach in sarkastischer Skepsis nach dem Motto: "Jetzt wird alles besser. Wie jedes Jahr…“

David Wagner gilt als Motivator [Schneider bei Wagners Vorstellung: "Er kann einen Laden anzünden.“] und Kumpeltyp, der aber bei aller Geselligkeit bei Regelübertritten rigoros auftreten kann. Denn er schätzt Disziplin und Aufopferung, woran es zuletzt auf Schalke mangelte. Seine Trainingseinheiten sollen mitunter ähnlich wie bei Felix Magath hart und lang sein, sein Fokus auf Ausdauer liegen. Seine bisherigen Mannschaften sprinteten mehr als der Gegner, schnitten dem Gegner oft bereits beim Aufbau den Raum ab und spielten direkt nach vorn. Schalke wies allerdings in der letzten Saison die schlechteste Laufleistung aller Bundesligisten auf.

Wagners Spielidee ist vergleichbar mit der seines guten Freundes Jürgen Klopp sowie jener von Ralf Rangnick, von dem sich Wagner durch gemeinsame Zeiten bei der TSG Hoffenheim inspiriert und geprägt fühlt: Sehr temporeich, aggressiv, aktiv und dynamisch angelegt und dadurch emotional. Kurzum: Wagner schwebt ein möglichst einfacher, schnörkelloser attraktiver Offensivfußball vor, dargeboten von Malochern.

Mit Blick auf die Formationen will der fünfte Schalker Trainer in den vergangenen dreieinhalb Jahren flexibel bleiben, setzt aber bevorzugt auf eine Viererabwehrkette, die für ihn sehr gut die defensive Stabilität gewährleisten und gleichzeitig für einen guten Spielaufbau über die Flügel sorgen kann.

Arbeitete er bisher meist mit jungen, hungrigen Spielern, tummeln sich in unserer Truppe gestandene Akteure mit zweifelhaftem Berufsethos, die in der Vorsaison nach peinlichen Niederlagen durch die Nacht schwärmten sowie Training oder Termine schwänzten. Ein Kader, der nach einem Umbruch schreit, ohne Stars und mit nur wenigen Hoffnungsträgern wie der spätestens 2020 vor dem Absprung stehende Alex Nübel oder Weston McKennie, der seinen Vertrag vorzeitig bis 2024 verlängerte. Der aktuelle Kader weist keinen Spieler mit einem höheren Transferwert auf, wie ihn kürzlich noch Julian Draxler, Leroy Sané oder Thilo Kehrer hatten. In der verheerenden Vorsaison rauschten die Werte vieler Profis in den Keller.

Zweifel, ob er auf Schalke überhaupt so spielen lassen kann, wie er will, wischt Wagner mit den folgenden Worten weg: "Was ist in diesem Verein über Jahrzehnte konstant herausragend? Die Nordkurve. Und die Kurve gibt vor, wie wir spielen: mit Leidenschaft, Energie und Zusammenhalt.“

Nach dem Ende der One-Man-Show unter Christian Heidel, bei seinem Amtsantritt 2016 als „starker Mann“ [Clemens Tönnies] angepriesen und bewusst mit allen Freiheiten ausgestattet, gibt es gravierende strukturelle Veränderungen sowohl auf administrativer als auch auf sportlicher Ebene. Im 12-köpfigen Organigramm tauchen im Vergleich zum Vorjahr gleich zehn neue Schalker auf, sodass auf dieser Ebene die größte Zäsur aller Zeiten vorgenommen wurde, ein totaler Umbruch in der Führungsebene, um den sportlichen und damit auch wirtschaftlichen Niedergang zu bremsen. Die alte Garde auf entscheidenden Positionen vertreten nur noch die beiden Vorstandsmitglieder Jobst und Peters.

Michael Reschke wurde der neu geschaffene Posten eines Technischen Direktors anvertraut, René Grotus assistiert Jochen Schneider und fungiert als Sportkoordinator, Sascha Riether bringt sich mit dem Titel „Koordinator der Lizenzspielerabteilung“ als Teammanager ein, der in Zukunft dafür sorgt, dass rund um die Mannschaft alles reibungslos läuft. Einen Wasserkopf wolle man aber nicht, so Sportvorstand Jochen Schneider, aber die Zuständigkeitsbereiche bei den bisweilen fließenden Grenzen müssen sich noch herauskristallisieren, was naturgemäß Zeit kosten und womöglich nicht ohne Spannungen ablaufen wird. Außerdem ist der komplette Co-Trainer-Stab ausgetauscht und mit Sascha Lense ein neuer Sportpsychologe sowie mit Massimo Mariotti ein Teambetreuer angestellt worden. Es gilt die Versäumnisse beim kognitiven Training, der Betreuung der Spieler und im Scouting wettzumachen.

Beim Umbruch des Kaders sind uns allein schon aus finanzieller Sicht die Hände gebunden. Die Knappen-Kasse ist nach den Fehleinkäufen von Breel Embolo, mit 22,5 Millionen Euro Sockelablöse immer noch teuerster Schalke-Einkauf aller Zeiten und nun mit Millionenverlust in zweistelliger Höhe zu Borussia Mönchengladbach transferiert, Nabil Bentaleb, Yevhen Konopljanka und Sebastian Rudy, die zusammen fast 80 Millionen Euro Ablöse kosteten, leer. Mehrere Transferperioden werden ins Land gehen, bis die verkorkste Einkaufspolitik der Heidel-Ära, in der sich Schalke trotz der Vizemeisterschaft 2018 nicht weiterentwickelte und der einstige Dauergast im Europapokal in drei Jahren das internationale Geschäft zweimal verfehlte, korrigiert werden kann. Große Sprünge auf dem Transfermarkt können wir uns mit Blick auf eine Kaderveränderung nicht leisten. Wichtige Einnahmen aus dem Europapokal fehlen.

Schalke steckt in der Finanz-Falle. Trotzdem stoßen mit Ozan Kabak, der dank einer Klausel für 15 Millionen Euro vom Absteiger VfB Stuttgart kam, und dem 13 Millionen Euro teuren flinken Außenstürmer Benito Raman aus Düsseldorf, ausgestattet mit einem Fünfjahresvertrag, zwei Transfers in die Top 10 der kostspieligsten S04-Investionen vor. Neue Gesichter sind außerdem das für 1 Million Euro für ein Jahr vom FC Everton ausgeliehene 22-jährige englische Rechtsverteidiger-Talent Jonjoe Kenny und die ablösefreie Nr. 3 der deutschen U 21-Vizeeuropameistermannschaft Markus Schubert von Dynamo Dresden. Zudem kehren die ausgeliehenen Pablo Insua und Fabian Reese zurück. Jonas Carls, der sein Bundesliga-Debüt bereits in der Vorsaison gab, rückt aus der zweiten Mannschaft fest in den Profikader auf.

Schalkes Ansprüche sind nach den Erfahrungen der jüngeren Vergangenheit rapide gesunken. David Wagner will zunächst überhaupt erst wieder den Anschluss zu den einstelligen Tabellenplätzen herstellen, bevor man wieder von Höherem träumen darf.

Gutes Jahr, schlechtes Jahr, gutes Jahr, schlechtes Jahr. Nach dem Gesetz der Serie ist mit dem FC Schalke jetzt wieder zu rechnen…