Unser Fanclub feiert dieses Jahr sein 20-jähriges Bestehen. Die Redaktion von emspower.de hat sich zu diesem Anlass mit jemandem unterhalten, der die ganze Geschichte des Fanclubs kennt - weil er ein Kind der ersten Stunde war: Oliver Attermeyer. Es geht um die bewegte Geschichte rund um den Fanclub und den FC Schalke 04, um Triumphe und Tränen, Highlights und dunkle Momente. Ein Interview in fünf Teilen. Heute geht’s im Teil III um die Zeit zwischen 1996 und 2001: „Triumphe und Tränen – Eurofighter und Meister der Herzen“
emspower.de: Die Saison 1995/96 endete auf einem nie erwarteten 3. Tabellenplatz, der besten Platzierung seit der Vizemeisterschaft und dem letzten Europapokalauftritt im Jahr 1977. Welchen Stellenwert hatte diese Saison?
Oliver: Einen ganz besonderen, denn letztlich war der 3. Platz 1996 die Geburtsstunde einer neuen Schalker Ära. Wir gehören seitdem wieder zu den Spitzenclubs in Deutschland. Bei Andy Müllers 2:1-Siegtreffer im entscheidenden letzten Heimspiel gegen die Bayern in der 90. Minute explodierte das Parkstadion. Gänsehaut pur, alles stürzte übereinander! UEFA-Cup! Europa! Das hatte man ja seit fast 20 Jahren nicht mehr gesehen!
emspower.de: Umso größer muss wohl die Enttäuschung nach der Auslosung gewesen sein…
Oliver: Ja, der Gegner Roda Kerkrade versprach ja nicht gerade das erwartete Europa-Flair, da es sich bei Kerkrade um die direkte holländische Nachbarstadt von Aachen handelte, Straße an Straße sogar. Trotzdem spürte man auch beim ersten Heimspiel eine noch nie gekannte Atmosphäre in unserer alten Schüssel Parkstadion. Die frühen Führungstore von Wilmots und Mulder und der glatte 3:0-Sieg taten ihr übriges dazu bei. Zum Rückspiel in reihte sich ein Emspower-Bus zur sogenannten „Kaffeefahrt“ nach Kerkrade ein.
emspower.de: Als Ausgleich für den kurzen Trip nach Kerkrade wurde in der 2. Runde mit dem türkischen Club Trabzonspor gleich die weitest mögliche UEFA-Cup-Reise zugelost. Hat von Emspower jemand die Tour auf sich genommen?
Oliver: Der Flug nach Trabzon, unweit der türkisch-armenischen Grenze, war ein Trip in den hintersten Winkel der Türkei. Wir Schalker Fans waren die Show des Tages, so bunte Schlachtenbummler mit Kutten und so hatte man dort noch nie gesehen. Von Emspower waren zehn Mann mit. In einem Basar mussten wir Platz nehmen und wurden mit Süßigkeiten, Obst und köstlichem türkischen Tee bewirtet. Und geknipst wurden wir, als ob wir berühmte Filmstars wären.
emspower.de: Die Reise durch Europa nahm dann richtig Fahrt auf. Wie heißt es so schön: „Wir schlugen Roda, wir schlugen Trabzon, wir schlugen Brügge sowieso, Valencia, Teneriffa, Inter Mailand, das war 'ne Show!“ Wie war die Zeit in diesem Jahr für Emspower?
Oliver: Das war ein Traum. Zunächst ging’s per Bus-Konvoi nach Belgien, unvergessen bleibt Mike Büskens’ Traumtor im legendären Schneespiel von Brügge. Damit war das Viertelfinale erreicht. Mit dem FC Valencia kam erstmals ein ganz großer Gegner. Die hatten immerhin den FC Bayern rausgekegelt. Nach einem tollen 2:0 im Parkstadion machten sich 5000 Schalker auf den Weg nach Spanien, Emspower flog mit 15 Mann mit LTU von Düsseldorf. Bei Insidern gilt Valencia – natürlich neben dem Titelgewinn – als das Highlight der Eurofighter-Saison. Auch auf Tereriffa war Emspower vertreten. Und das Rückspiel im Parkstadion ist irgendwie bis heute präsent. An diesem Abend wurde ein besonderes Lied geboren. Eine Anfeuerung, die der Mannschaft tatsächlich geholfen hat, weil sie emotional und ergreifend war: „Steht auf, wenn ihr Schalker seid“.
emspower.de: Plötzlich stand Schalke im Finale. Was bedeutete das für den Fanclub?
Oliver: Die Wahrnehmung für den Fanclub wurde eine andere. Im Laufe des Frühjahrs 1997, aber vor allem vor den Finalspielen gegen Inter traten 80 neue Mitglieder bei. Es galt das klare Prinzip: Karten gibt es nur gegen Emspower-Mitgliedschaft. Matthias Diercksens Organisationstalent lief zur Hochform auf, für das entscheidende Rückspiel im San Siro von Mailand hatte er unglaubliche 147 Karten ergattert. So konnten wir drei Busse gen Süden schicken. Kein anderer Fanclub war so stark vertreten wie Emspower Rheine.
emspower.de: Über die Nacht von Mailand ist schon viel geschrieben und berichtet worden. Welche Bedeutung hatte der sensationelle Gewinn des UEFA-Cups 1997 für den Fanclub und den Schalke 04 insgesamt?
Oliver: Er hat alles verändert. Jahrelang war man als Blauer verarscht und veralbert worden. 25 Jahre kein Titel, drei bittere Abstiege in die 2. Liga. Als Schalke-Fan hatte man immer viel gegeben und stets wenig zurückbekommen. Mit einem Wisch bekamen wir den Lohn für unsere bedingungslose Treue zurückgezahlt. Was für Bilder, welche Emotionen! Erwachsene Männer, die minutenlang und hemmungslos weinten! Kneif mich, ich glaub’, ich träume!
emspower.de: Nach dem UEFA-Cup-Sieg stiegen die Ansprüche der Fans, doch Schalke konnte den gestiegenen Erwartungen vor allem zwischen 1998 und 2000 nicht gerecht werden. Das war wohl eine fürchterliche Zeit, oder?
Oliver: Vor allem die Heimauftritte wurden zu großen Langeweilern und schwerer Kost. In 34 Heimspielen der beiden Saisons 98/99 und 99/00 gab es gerade mal 9 Siege. Ausgerechnet zum wohl schlechtesten Schalker Heimspiel seit Emspower-Gründung gegen den SSV Ulm 1846 am 14. April 2000 setzte Emspower einen kostenlosen Schnupper-Bus für interessierte Fußballfans aus Rheine ein. Bus und Karten wurden von der Stadtsparkasse gesponsert - keine sehr lohnenswerte Investition. Der Statistik des "kicker" konnte man ein Chancenverhältnis von 0:1 und die Spielnote 6 entnehmen. Einzig der Baubeginn der Arena im November 1998 war ein Licht im grauen Schalker Alltag. Matthias Diercksen hatte nach Beginn der Bestellperiode für die neuen Arena-Dauerkarten schnell einen Fuß in die Tür gekriegt, so dass ein Gros des Fanclubs bis heute ziemlich geschlossen im Block 25 seine Heimat hat.
emspower.de: Die Prognosen für die letzte Saison im Parkstadion (2000/01) waren nicht besonders verheißungsvoll. Die Saison begann mit richtigem Ärger. Erzfeind Andy Möller sollte auf einmal Königsblau tragen. Wie war die Reaktion unter den Schalke-Fans aus Rheine auf diesen Transfer?
Oliver: Ungläubiges Staunen, Fassungslosigkeit, Entsetzen! Unser Intimfeind, der alles verkörperte, was wir am BVB hassten, sollte plötzlich Königsblau tragen? Auch die weiteren Neuverpflichtungen - also Hajto vom Absteiger MSV Duisburg und Böhme vom Absteiger Arminia Bielefeld - waren nach Einschätzung der Experten nur Ergänzungsspieler. Dass diese Spielzeit die wohl verrückteste Saison der Schalker Bundesligageschichte werden würde, konnte im Sommer 2000 niemand ahnen.
emspower.de: Es wurde eine in jeder Hinsicht ereignisreiche Saison mit dem dramatischsten Bundesligafinale aller Zeiten. Welche Erinnerungen hast du rückblickend nach zehn Jahren an die Meister-der-Herzen-Saison?
Oliver: Auch wenn es sich blöd anhört, keiner scheitert so schön wie Schalke 04. Sowas passiert nur Schalke, so was gibt’s nur auf Schalke. Vermutlich ist noch nie ein Club und mit ihm seine Fans innerhalb von so kurzer Zeit, genau 4 Minuten und 38 Sekunden, durch ein Tal von Triumph und Tränen gegangen.
emspower.de: Wie präsent sind die Erinnerungen an diesen 19.Mai 2001, als der S04 zum letzten Mal um Bundesligapunkte im Parkstadion antrat, insbesondere an die Ereignisse rund um 17.15 Uhr?
Oliver: Sehr präsent. Schon das Spiel gegen Haching war ja dramatisch genug. Nach 0:2 und 2:3 führte Schalke plötzlich 4:3 und entschied erst in der Schlussminute durch Ebbe Sand die Partie. Wie tausende andere auch hatte ich den Knopf des Radios im Ohr und konnte es gar nicht fassen, als quasi zeitgleich mit Ebbes 5:3 Alexander Bleick vom NDR plötzlich in den Äther schrie, dass Barbarez den HSV in Führung gebracht hat. Die nachfolgenden Minuten erlebten wohl viele – auch ich – wie in Trance: Jubel der Radiohörer, Stadion flippt aus, alles stürz übereinander, Heulen vor Glück, Schlusspfiff im Parkstadion, Spielertraube in Blau und Weiß, Möllemann und Assi hüpfen auf der Tartanbahn, Platzsturm. Ich steh immer noch oben in Block R. Einige Kollegen sind noch da, die jüngeren sind schon auf dem Platz. Ungläubiges Gucken, wird in Hamburg noch gespielt? Ja! Warum pfeift der nicht ab? Dann die Freistoßentscheidung. Plötzlich die Live-Bilder von "Premiere" auf der Videowand in der Südkurve. Als ob man bei seiner eigenen Hinrichtung zuschauen würde. Lähmendes Entsetzen…
emspower.de: Alter Schwede, du hast recht - da wird einem vom Zuhören schon wieder ganz anders... Zum Glück trat der S04 eine Woche später in Berlin zum Pokalendspiel gegen Union Berlin an und gewann 2:0. War das Balsam auf den Seelen?
Oliver: Ja sicher, das hat sehr gut getan und bedeutete den Gewinn des ersten nationalen Titels für Schalke seit dem Pokalerfolg von 1972.
emspower.de: Für Emspower war das Jahr 2001 das Jahr des 10-jährigen Bestehens, das groß gefeiert wurde. Ein Höhepunkt der Fanclubgeschichte?
Oliver: Zweifellos! Wir hatten damals einen Jubiläumsausschuss ins Leben gerufen, der von Uwe Schneider geführt wurde. Die Unterstützung aus der Mitgliedschaft war überwältigend und die Party dauerte vier volle Tage. Start war am Donnerstag mit dem „Goldenen Fanclubabend“ am Alten Fritz. Dazu wurde die Klemensstraße gesperrt, Bierwagen und Grill aufgestellt. Das Wochenende konnte durch gute Kontakte zu Grün-Weiß Rheine auf deren Sportanlage stattfinden. Freitag war Disco mit DJ Dirk, also Schalkes Stadionsprecher, und Samstag Live-Musik im Zelt mit rund 500 Gästen. Samstag und Sonntag wurde ein Fanclubturnier mit 20 Teams ausgetragen. Alles was in unserer Verantwortung lag, lief letztlich gut. Leider musste Rudi Assauer, den wir eingeladen hatten, kurzfristig absagen. Und auch der Auftritt der Traditionsmannschaft des S04 gegen eine Ü32-Stadtauswahl Rheine, das Rheine mit 6:1 gewann, war eher zum Schmunzeln. Bis auf Fichtel, Kruse und Regenbogen überwiegend unbekannte Schalker aufliefen.
Nach dieser Zeit kamen die Arena-Jahre mit hohen, eigentlich sogar überhöhten Ansprüchen der Fans an den Verein. Bundesliga-Mittelmaß war nicht mehr erwünscht. Es ging eigentlich nur noch um die Jagd auf den gestohlenen Titel. Immerhin etablierte sich Schalke 04 im internationalen Geschäft und mischte erstmals in der Champions League mit. Mehr dazu im vierten Teil des Interviews - demnächst hier.