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Wie die Führung Schalke 04 neu erfand - eine Bilanz

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Diese Hinserie der Saison 2017/18 ist eine Zeitenwende: Schalke hat sich spätestens mit diesem halben Jahr neu erfunden. Der Same wurde schon 2016 gepflanzt, die Wurzeln der Neu-Erfindung schlugen schon vor mehr als einem Jahr aus. In diesem Halbjahr ist das Pflänzchen gewachsen – aber es ist noch recht zart. Eine ausführliche und subjektive Bilanz von unserem Webmaster Tobias.

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Als im Winter/Frühjahr 2016 die Entscheidung im Aufsichtsrat des FC Schalke 04 reifte, Horst Heldt in der sportlichen Führung des Clubs gegen Christian Heidel auszutauschen, da wurde die Basis gelegt für diese Hinrunde, die wir in diesem Jahr erlebt haben. Mit Christian Heidel, der im Sommer 2016 seinen Dienst als Vorstand Sport antrat, setzte eine Zeitenwende ein, die man grob so überschreiben kann: Schluss mit dem kurzfristigen Erfolgsdenken um jeden Preis, hin zu einer neuen Nachhaltigkeit. Muss Schalke 04 um jeden Preis Jahr für Jahr zig Millionen in Halbstars investieren, um Jahr für Jahr irgendwie den europäischen Wettbewerb zu erreichen? Nein – wir machen es anders: Wir wollen zwar nach wie vor europäisch mitmischen, aber nicht mehr um jeden Preis. Wir denken mittel- bis langfristig, sanieren die Haushaltslage, investieren in Steine statt Beine.

Der wenig verheißungsvolle sportliche Start

Der Weg begann ohne durchschlagenden Erfolg: Gleich im ersten Spieljahr verpasste Schalke erstmals seit Jahren die Qualifikation für einen europäischen Wettbewerb. Der Kader wurde verkleinert, vergünstigt, wir holten Spieler wie Naldo (ablösefrei – aber uralt: noch gut genug für Schalke?) und Burgstaller (einen Zweitliga-Torjäger), und wir holten Trainer, die noch nicht als fertig gelten konnten: Erst Markus Weinzierl, dessen Spielsystem und taktischen Vorstellungen sich nicht als flexibel genug erwiesen… und dann Domenico Tedesco, einen jungen Mann, den kaum einer kannte, der Christian Heidel aber schon in den ersten Gesprächen vollends mit einer nie gesehenen Akribie überzeugte – einer, der zu Schalke passt.

Der Tedesco, der neben Heidel, Naldo und Burgstaller eines der Schlüsselelemente des neuen Schalke wurde: Ihm ist es in dieser Halbserie wie keinem zweiten zuvor gelungen, Spieler auf Schalke besser zu machen. Dabei darf man nicht außen vor lassen, dass Schalke bekannt ist für seine Knappenschmiede, aus der Jahr für Jahr hochgelobte Talente hervorgebracht werden, von denen viele den Sprung in die internationale Klasse schaffen können und konnten. Aber besser machen hier eher gemeint im Sinne von: Da ist ein Spieler, dem großes Talent nachgesagt wird – aber er tritt auf der Stelle. Oder: Da holt Schalke 04 einen Mann, der in seinem vorherigen Club absoluter Leistungsträger war – und schwupps, trägt das blaue Trikot, wird er gleich eine bis zwei Klassen schlechter. Es gibt eine ganze Reihe von Spielern, auf die genau das zutrifft: angefangen bei Ivan Rakitic oder Orlando Engelaar über Chinedu Obasi zu Sidney Sam… und wie sie alle hießen und heißen. Man hatte immer das Gefühl: Kommen sie zu Schalke 04, macht der üppige Vertrag sie satt und genügsam. Den Hunger, immer besser zu werden und Erfolge zu feiern, den hat Domenico Tedesco zurück gebracht.

Das beste Beispiel für Tedescos Arbeit

Bestes Beispiel ist Max Meyer: Jahrelang stagnierte der kleine Max in seiner Entwicklung, die mit vielen Vorschusslorbeeren daher kam und die dem kleinen Max vielleicht auch den Kopf verdrehte in dem Wissen, er wird der nächste Superstar. Keinem Trainer gelang es, das aus dem Spieler herauszukitzeln, was wirklich in ihm zu stecken schien. Es waren ganz sicher die Gespräche, von denen Ralf Fährmann bei Tedesco so unumwunden schwärmt, die Meyer resetteten. Es war aber auch der Coup, den keiner vor ihm gesehen hatte: Dieser Mann ist besser, wenn er das Feld vor sich hat. Er ist kein Zehner, sondern er hat seine Stärken auf der Sechs. Das Pokalspiel gegen Köln demonstrierte eindrücklich, dass genau das seine Position ist. Er gewann irre viele Bälle zurück, weil er Passwege richtig antizipierte und zustellte, weil er Defensivzweikämpfe bestritt (das war einst anders) und viele davon für sich entschied. Es war nur die Krone auf seiner besten Saisonleistung, dass er auch noch das siegbringende 1:0 (per Kopf!) erzielte. Das Tor hätte es nicht gebraucht, um ihn zum besten Spieler des Abends zu machen.

Diese Leistungssteigerung des Einzelnen geht einher mit einem irren Willen, den unsere Mannschaft in dieser Halbserie an den Tag gelegt hat: Wie sonst lässt sich ein 0:4-Rückstand nach 30 Minuten noch in ein 4:4 nach 95 Minuten umwandeln? Wie ist es sonst zu erklären, dass ein 0:2 noch keine Garantie für eine Niederlage ist?

Wie aktives Coaching Spiele zu unseren Gunsten drehte

Hinzu kommt, dass der Trainer Spiele auch nach dem Anpfiff noch beeinflussen kann. Er arbeitet eng und laut an der Seitenlinie, spricht in der Kabine die richtigen Dinge an, wechselt Spieler zum richtigen Zeitpunkt aus und die richtigen Leute dafür ein, stellt taktisch um, wenn er sieht, dass er mit dem eigentlich vorgesehenen System daneben lag. Er sieht eigene Fehler und weiß sie zu korrigieren. Zudem stellt er Fehler der Vergangenheit ab wie zum Beispiel den, immer und immer wieder ein Angriffsspiel über Ralf Fährmann aufbauen zu wollen.

Man darf bei dieser Entwicklung nicht außer acht lassen, dass Schalke 04 in dieser Hinserie auch manches Mal Glück gehabt hat. Mit dem neu eingeführten Videobeweis (wobei man da auch manches mal von Pech sprechen konnte), mit nicht verhängten, aber möglichen Roten Karten (Kehrer, McKennie), mit unverhofften sonderbaren Toren wie dem 1:0-Siegtreffer in Freiburg oder dem Eigentor von Vestergaard (M’Gladbach). Es hätten statt der 30 so auch 26 oder 24 Punkte und damit Platz 7 oder 9 in der Liga sein könnten. Aber ist es nicht.

Es ist Platz 2.

Ja, dazu trägt auch bei, dass Schalke 04 in dieser Saison ein Plus an Zeit hat: Während andere Teams sich montags auf das Europapokalspiel am Mittwoch vorbereiten und Dienstag ins Flugzeug steigen, Mittwochnacht zurück fliegen, Donnerstag regenerieren, sich Freitag dann um den nächsten Gegner kümmern, bereitet die Mannschaft sich vier Tage am Stück auf das nächste Wochenende vor. Das passt perfekt zum neuen Trainer, einem Mann, der viel von Taktik versteht und welche Anforderungen sich auf dem Feld für den Einzelnen daraus ergeben. Damit der Einzelne verstehen lernt, was für ihn draus erwächst, muss man daran arbeiten, es einstudieren, es wiederholen und verfestigen – und das geht eben viel besser, wenn man eine Trainingswoche Zeit dafür hat.

Schalke verzaubert nicht, sondern arbeitet mit- und füreinander

Es ist nicht so, dass Schalke mit seinem Offensivspiel verzaubert. Es ist auch augenscheinlich, dass die acht Liga-Siege mit zumeist nur einem Tor Unterschied zustande kamen – eine Tordifferenz von plus 7 spricht da Bände. und sechs Unentschieden aus 17 Spielen sind auch keine Wunder-Bilanz. Aber Schalke 04 zu schlagen, war in dieser Hinserie so schwer wie schon lange nicht mehr. Drei Niederlagen – nur Bayer Leverkusen (3) und Bayern München (2) sind da ebenbürtig.

Der sportliche Erfolg dieser Hinserie (war er abzusehen?) zeigt sich in Punkten und dem Erreichen des Pokal-Viertelfinals (auch dank einer freundlichen Auslosung bisher – auch das gehört zur Wahrheit dazu), aber vor allem in dem Kampfgeist der Mannschaft. Auf Schalke will der Fan nichts mehr als eine leidenschaftlich arbeitende Mannschaft, die sich zerreißt für den Club. Endlich kann man das von der Mannschaft behaupten – und zwar nicht von Einzelnen, sondern vom Kollektiv.

Woran man sieht, dass auch der Verein sich weiter entwickelt

Und neben all dem Sportlichen, das sich tut, entwickelt sich der Verein weiter: Endlich widmet sich die Führung wieder einem Projekt, das in den vergangenen Jahren schon in den Hinterköpfen steckte, aber Jahr für Jahr aufgeschoben wurde, weil die Prioritäten andere waren: Der Manager Horst Heldt kümmerte sich vor allem um den kurzfristigen Erfolg, verschloss dabei aber die Augen für das, was für den Langfrist-Erfolg wichtiger sein könnte: das „Berger Feld“ weiterzuentwickeln. Pläne für neue und mehr Trainingsplätze, ein Amateur-Stadion, neue Trakte für Mannschaft und Knappenschmiede… sie lagen schon länger vor. Aber immer wieder wurde geschoben, weil das Geld dann doch lieber in Beine gesteckt wurde als in Steine. Das war eine strategische Entscheidung des Vorstandes – aber sie war kurz gedacht. Keine Frage: Eine Langfriststrategie birgt Gefahren. Denn das Geschäft ist schnelllebig und die Gefahr, durch das Ausbleiben von Erfolgen in eine Abwärtsspirale zu geraten, groß: Bist du international nicht dabei, hast du weniger Geld für einen guten Kader; bist du noch weniger wahrscheinlich international dabei, verlierst du Sponsoren, hast du noch weniger Geld für einen guten Kader… Dann kannst du so enden wie der Hamburger SV oder Werder Bremen, die jahrelang oben waren, aber nun schon jahrelang unten um den Klassenerhalt kämpfen.

Zurzeit – und das kann auch nur eine Momentaufnahme sein – sieht es aus, als ginge unser Weg in eine andere Richtung. Es kann aber auch sein, dass es auch wieder andere Tage gibt. Der Erfolg ist fragil, das Pflänzchen zart. Es wird wieder Regen und Gewitter geben, vielleicht auch Hagel, der das Pflänzchen angreift. Dann erst wird deutlich, wie stark unser neuer Trainer, unser Führungsteam generell und tief unser Glaube an den Bedarf einer Langfrist-Strategie auf Kosten des kurzfristigen Erfolgsdenkens wirklich sind. Zweifel daran ist berechtigt, denn wir sind und bleiben der FC Schalke 04. Ein Club aber, der an entscheidenden Positionen Fachleute für die einzelnen Funktionen hat (Jobst, Heidel, Tedesco), die intelligent genug sind, diese Meta-Frage nicht aus den Augen zu verlieren.

Diese Hinrunde war eine Frischzellenkur. Ein neues Schalke wächst. Hoffen wir, dass es 2018 so weiter geht. Frohe Feiertage!